Bodenbilanz: Österreich wird zunehmend verbaut
Lebensgrundlage Boden wurde 2019 wieder in Rekordtempo durch Verbauung zerstört
Bodenverbrauchsbilanz: War in den letzten Jahren eine geringfügig abnehmende Tendenz beim täglichen Flächenverbrauch zu verzeichnen, so zeigen die jüngsten Zahlen des Umweltbundesamtes für 2019 eine dramatische Steigerung. Im Vergleich zu 2018 gab es 2019 ein PLUS von 24 Prozent (Vgl. 2018 10,5 Hektar/Tag zu 13,0 Hektar/Tag 2019).
Es ist eine Weile her, da waren die Ortszentren der gesellschaftliche Mittelpunkt des (klein)städtischen Lebens. Doch die Ortskerne der kleineren Gemeinden starben nach und nach aus und die Häuser stehen nun vielfach leer. Das Leben ist an die Peripherie weitergezogen, raus in die Gewerbe- und Industriezonen mit ihren Einkaufszentren und Fachmärkten. Dorthin also, wo man nur mit dem Auto hinkommt, wo sich Discounter-Läden und Fastfood-Ketten aneinanderreihen und wo man beispielsweise Oberösterreich nicht mehr von der Steiermark unterscheiden kann. Was einst die Identität einer Gemeinde ausmachte, das Leben im Zentrum, wird ersetzt durch gesichtslose, auf vermeintlich Effizienz getrimmte Konsumzonen. Das geht und ging zu Lasten von Agrarflächen. Das Dramatische am jüngsten Zuwachs: „Bereits in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung im Jahr 2002 wurde festgeschrieben, den täglichen Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu beschränken. 2019 haben wir tatsächlich aber 13 Hektar täglich verbaut, das ist das Fünffache des Zielwertes von 2,5 Hektar/Tag. Das positive: Erstmals hat auch eine Bundesregierung den Zielwert von 2,5 Hektar pro Tag (bis 2030) und detaillierte Maßnahmen für eine Reduktion des Bodenverbrauchs in einem Regierungsprogramm festgeschrieben“, so der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger.
Dramatische Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung
Die tägliche Verbauung von 13 Hektar – das entspricht der Fläche von 20 Fußballfeldern – wertvoller Wiesen und Äcker für Straßen, Siedlungen, Shoppingcenter und Industriehallen hat dramatische Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgungssicherheit: So entspricht der jährliche Verlust an Agrarflächen knapp 5.000 Hektar Äcker und Wiesen. Das bedeutet umgerechnet beispielsweise einen Verlust von 30 Millionen kg Brotgetreide (5.000 Hektar mal durchschnittlich 6.000 kg/Hektar). Für den Brotkonsum werden rund 85 kg Getreide pro Kopf und Jahr benötigt. Somit verbauen wir in einem Jahr das Brotgetreide für mehr als 350.000 Österreicherinnen und Österreicher. Diese Entwicklung ist fahrlässig, weil es die Ernährungssouveränität Österreichs massiv gefährdet. So haben wir beim Brotgetreide bereits jetzt nur mehr einen Selbstversorgungsgrad von 86 Prozent, bei Kartoffeln von 80 Prozent, bei Gemüse nicht einmal 50 Prozent und bei Soja sogar nur von 15 Prozent. Aber auch der Klimawandel wird beschleunigt. Durch die Versiegelung des Bodens geht notwendiger CO2– und Wasserspeicher für immer verloren, Schäden durch Wetterextremereignisse wie Dürreperioden und Hochwasser werden mehr.
Flächenverbrauch: Lösungsansätze konsequent umsetzen
Die Bundesregierung hat sich im Regierungsprogramm 2020-2024 zu umfassenden Maßnahmen für gesunde Böden und eine zukunftsfähige Raumordnung bekannt. Eine konsequente Umsetzung sollte daher in Anbetracht der aktuellen Situation zur Lösung dieses brennenden Umweltproblems Priorität haben. „Nur durch eine kluge Raumordnungspolitik, durch einen absoluten Verbauungsstopp bester Wiesen und Äcker, durch Leerstandsnutzung (in Österreich stehen laut Umweltbundesamt 40.000 Hektar Immobilien leer) und durch eine Stärkung der überregionalen Raumordnung, kann dieser negativen Entwicklung entgegengewirkt werden“, erklärt Weinberger.
Corona-Krise: Biodiversität und damit Böden müssen erhalten bleiben
Forscher der Zoologischen Gesellschaft London sagen: Je stärker der Mensch in natürliche Lebensräume eingreift und die Biodiversität reduziert – also Böden verbaut – desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass beispielsweise Viren von Tieren auf Menschen übertragen werden können. Daher ist auch eine Lehre aus der gegenwärtigen Krise zu ziehen, nicht weiter in die Lebensräume einzugreifen, Ressourcen zu bewahren und die Artenvielfalt zu erhalten. Dadurch werden Tiere vor dem Menschen geschützt und somit Menschen vor einer Übertragung mit gefährlichen Erregern.
Corona-Krise: Landwirtschaft für eine Volkswirtschaft unverzichtbar
Die Coronavirus-Krise hat vielerorts zu leeren Regalen in den Supermärkten geführt. Das zeigt einerseits, dass es nicht selbstverständlich ist, Lebensmittel überall und sofort zu bekommen und andererseits, wie verletzbar man als Nationalstaat ist. Ernährungssicherheit kann man nicht importieren. Eine heimische Landwirtschaft, die ausreichend Boden zur Verfügung hat, um Nahrungsmittel zu erzeugen, ist unverzichtbar für eine Volkswirtschaft. Ohne unsere Bäuerinnen und Bauern hätten wir alle nichts zu essen. Ohne sie wäre der Teller leer. Sie produzieren 365 Tage im Jahr qualitativ hochwertige Lebensmittel. Das unter immer härter werdenden Bedingungen: zunehmende Wetterextreme wie Frost, Hagel, Dürre, Überschwemmung und bei schwindenden Agrarflächen. „Wir müssen daher selbst die Voraussetzungen dafür schaffen, um die Bevölkerung im Krisenfall ernähren zu können. Daher gilt es die Ressource Boden zu schützen. Wir dürfen eines nicht vergessen: Ohne unsere Lebensgrundlage Boden gibt es keine Lebensmittel. Kein Quadratmeter fruchtbarer Boden dürfte mehr verbaut werden. Von Beton kann man nicht abbeißen. Daher müssen wir weiter konsequent für den Erhalt der Böden, unser aller Lebensgrundlage, kämpfen!“, appelliert Weinberger abschließend.