BOKU-Bodenschutztagung: „Stopp dem Flächenfraß“
Bei einem hochkarätig besetzten Symposium diskutierten Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Vertreter*innen der Wirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien Maßnahmen für eine geordnete Raumentwicklung und eine Eindämmung des Bodenverbrauchs.
Wenn wir am 5. Juni wieder den internationalen Weltumwelttag begehen, der in diesem Jahr unter dem Motto #OnlyOneEarth“ steht, sollten wir uns bewusst machen, wie wir Menschen täglich mit unserer Umwelt umgehen und wertvollen Lebensraum für den Bau von Straßen oder Gewerbezentren zerstören. Wie eine geordnete und strukturierte Raumordnungspolitik auch in Österreich funktionieren kann, damit hat sich die gestrige Bodenschutztagung „Stopp dem Flächenfraß“ der BOKU beschäftigt.
Bei diesem internationalen Symposium präsentierten Wissenschaftler*innen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich die aktuellen Entwicklungen zum Thema Bodenschutz durch eine geordnete Raumentwicklung. In der Diskussion um den Bodenverbrauch spielen Gemeinden als Bau- und Flächenwidmungsbehörden eine wichtige Rolle. Dabei befinden sich die Gemeindeverantwortlichen in einem Spannungsfeld: Jedes neue Bauvorhaben verbraucht einerseits Grund und Boden und bringt andererseits Einnahmen aus der Kommunalsteuer.
„Das größte Umweltproblem in Österreich ist der enorme Bodenverbrauch. Die Folgen sind beispielsweise zunehmende Schäden durch Überschwemmung, die Gefährdung der Ernährungssouveränität und der Schönheit Österreichs“, betonte Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung und Vorsitzender des Universitätsrats der BOKU Wien, in seinen einleitenden Worten an die 130 Teilnehmer*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien. „Österreich ist Europameister im negativen Sinn, was den Bodenverbrauch betrifft. So liegt der Bodenverbrauch aktuell bei 11,5 Hektar oder umgerechnet 16 Fußballfeldern pro Tag. Allein in den vergangenen 25 Jahren haben wir bereits 150.000 Hektar zubetoniert, das entspricht der Agrarfläche des Bundeslandes Burgenland. Wenn wir weiter 0,5 % der Acker- und Grünlandflächen in Österreich jährlich verbauen, gehen uns in 200 Jahren die Böden für die landwirtschaftliche Produktion aus. Daher müssen wir konsequent an der geordneten Gestaltung unserer Räume zum Wohle der zukünftigen Generationen arbeiten“, so Weinberger,
Wie können wir Freiland schützen?
Insbesondere in wachsenden Stadtregionen sei der dauerhafte Erhalt von Freiräumen im Sinne „grüner Infrastrukturen“ von hoher Bedeutung, betonte Prof. Dr. Axel Priebs vom Geographischen Institut der Universität Kiel in seinem Vortrag „Strategien zum Schutz des Grünlandes in Deutschland“. Priebs: „Freiräume dienen der wohnungsnahen Erholung, aber auch der biologischen Vernetzung und dem Stadtklima. Zu ihrer Sicherung müssen ,rote Linien‘ definiert werden, die nicht durch Bautätigkeit überschritten werden dürfen. Um die Akzeptanz ihres Schutzes zu fördern, müssen Freiräume erlebbar gemacht werden, wie Priebs am Beispiel der Freiraumsysteme mit ergänzenden Regionalpark- und Erholungskonzepten in den Regionen Stuttgart, Hannover, Rhein-Main, Ruhr und Berlin-Brandenburg erläuterte.
Univ-Prof. Arthur Kanonier gab im Anschluss seinen Input zu „Siedlungsgrenzen im Planungsrecht“. „Das Thema ist alt, aber Flächenverbrauch und -inanspruchnahme sind so aktuell wie noch nie – und derzeit nimmt der Druck zu“, eine Bodenstrategie für Österreich sei derzeit in Ausarbeitung, so der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Raumplanung (ÖGR) und Leiter des Forschungsbereichs Bodenpolitik und Bodenmanagement an der TU Wien. Siedlungsgrenzen seien als traditionelle Planungsinstrumente wirkungsvoll, insbesondere auf regionaler Ebene, so Kanonier. „Die Entwicklung zeigt, dass Waldflächen und Gewässer beständig bleiben, Siedlungsentwicklung findet auf den landwirtschaftlichen Flächen statt“, betonte Kanonier, der sich in seinem Vortag dafür aussprach, dass die Funktionen der Grünzonen, wie die Erhaltung der Ernährungssicherheit, noch deutlicher kommuniziert werden müssten. Die Bauaktivitäten im Grünland nehmen zu, hinzukomme, dass es Arten von Siedlungsgrenzen gebe, die bei Verstößen häufig keine Sanktionen nach sich zögen, so Kanonier. „Die Abgrenzungskriterien sind anspruchsvoll und müssen sachlich gut begründet sein“. Nicht vergessen werden dürften auch die baupolitischen Aspekte des Grünlandschutzes, denn, „wenn Bauland massiv verknappt wird, und es keine begleitenden Maßnahmen gibt, kann das auch kontraproduktiv sein und die Preise für Bauland würden extrem steigen.“ Raumplanerische Siedlungsgrenzen hätten mit flankierenden Maßnahmen jedoch noch großes Potenzial.
„Mit der Regionalen Leitplanung befindet sich in Niederösterreich gerade ein Projekt mit Vorbildwirkung für ganz Österreich in Umsetzung. Gemeinden, Regionen und das Land erarbeiten gemeinsam landesweit überörtliche Raumordnungsprogramme mit inhaltlichen Schwerpunktsetzungen, die einen klaren Beitrag zum Thema ,Flächensparen‘ leisten sollen“, gab Mag. Dominik Dittrich, Leiter der überörtlichen Raumplanung beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung in seinem Vortrag „Regionale Leitplanung in Niederösterreich“ einen Überblick über den Ansatz des Landes Niederösterreich.
Innen- statt Außenentwicklung
„Es mangelt nicht an Zielen, Methoden und guten Beispielen, aber trotzdem geht die Annäherung an eine echte Flächenkreislaufwirtschaft viel zu langsam voran. Deshalb muss die überörtliche Raumplanung verbindliche Flächenbudgets für Städte und Gemeinden vorgeben. Eine Verknappung von Bauland muss bodenpolitisch flankiert werden, um Spekulation zu verhindern, etwa mit einem Bodenpreisdeckel, einem preislimitierten kommunalen Vorkaufsrecht, einer wirksamen Baupflicht und mit einer Abgabe planungsbedingter Bodenwertsteigerungen an die Gemeinde“, so DI Stephan Reiß-Schmidt, Vertreter der Landesgruppe Bayern im Landesplanungsbeirat / Initiative „Wege zum besseren Landesentwicklungsprogramm in seinem Vortrag „Verbindliche Flächenbudgets für Städte und Gemeinden?“ zum Diskussionsstand in Bayern“.
Raumplanungsgesetz 1. Teilrevision –Die Schweiz verfolgt in ihrer Raumplanung sowohl auf Bundes-, wie auch auf kantonaler und Gemeindeebene die Maxime Innen- vor Außenentwicklung, um Bodenzerstörung zu verhindern und Kulturlandschaften zu schützen, erläuterte Dr.in Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung Schweiz (ARE) in ihrem Vortrag „Planerische Strategien für eine wirkungsvolle Innenentwicklung in der Schweiz“. Alle fünf Jahre wird in unserem Nachbarland die Bauzonenstatistik erstellt, und zeigte sich, „dass manche Kantone Bauzonen ausgewiesen hatten, die für 40 bis 100 Jahre reichen würden, obwohl der rechtliche Rahmen lediglich Bauland für 15 Jahre vorsieht“, berichtete Lezzi. Gewidmetes Bauland muss in der Schweiz auch innerhalb von 15 Jahren in Anspruch genommen werden, sonst droht eine Rückwidmung. Damit Bauland nicht gehortet wird, gibt es neben der 15-Jahre-Frist auch noch eine 20 Prozent hohe Mehrwertabschöpfung und andere Sanktionsmechanismen. So hatten die Kantone ab 2014 fünf Jahre Zeit, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für diese Mehrwertabschöpfung zu schaffen – andernfalls wurde ein Widmungs-Moratorium verhängt, wie aktuell im Tessin. Lezzi: „Die Mehrwertabschöpfung wird als Entschädigungen für Rückwidmungen verwendet und auf diesem Weg entsteht wieder Kulturlandschaft.“ Der springende Punkt für die Akzeptanz dieser Maßnahmen seitens der Bevölkerung sei, so Lezzi, aber immer zu erklären, warum man es mache: „Um Kulturlandschaft zu schützen.
„Österreich ist weitgehend gebaut, die Effizienz der Flächennutzung jedoch sinkt. Die Flächeninanspruchnahme für Bauland und Infrastruktur trägt zur Klimakrise bei, gefährdet unsere Ernährungssicherheit und schränkt unsere Möglichkeiten ein, auf erneuerbare Energie und Ressourcen umzusteigen“, lautet der Befund von Univ.-Prof. Gernot Stöglehner, Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung (BOKU). Daher sei die künftige Siedlungsentwicklung auf die gebauten und die bereits als Bauland ausgewiesenen Bereiche zu lenken, wie er in seinem Beitrag zum Thema „Energieraumplanung – Synergien und Konflikte mit dem Bodenschutz?“ betonte. „Dafür braucht es eine konsequente Raumplanung, aber auch begleitende Maßnahmen wie bodenpolitische Instrumente, um bereits gewidmetes Bauland verfügbar zu machen. Hier sein Energieraumplanung ein wichtiger Beitrag: Die Frage, was eine Raumplanung energieeffizient, wo geeignete Bereiche etwa für Fernwärme liege oder wo energieeffiziente Mobilität möglich ist, sei wichtig. Denn: „Energieeffiziente Raum- und Siedlungsstrukturen eigenen sich besonders gut für die Innenentwicklung“.
Podiumsdiskussion
Einen Höhepunkt und außergewöhnlichen Abschluss der Tagung bildete eine spannende Diskussionsrunde mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, moderiert vom ORF- Radio- und Fernsehjournalist Hanno Settele.
„In der Diskussion um den sparsamen Umgang mit Grund- und Boden muss man die Bereiche aus Raumordnung, Baurecht und Grundverkehr in Verbindung sehen“, betonte der Salzburger Landesrat für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, Raumordnung und Personal, DI Dr. Josef Schwaiger. „Wir haben in Salzburg mit der Verzahnung der Gesetzesmaterien die Grundlagen für den Stopp der Bodenversiegelung geschaffen und konnten im letzten Jahr erstmals eine negative Widmungsbilanz bei Zweitwohnsitzen und den niedrigsten Flächenverbrauch in Österreich ausweisen. Durch die abgestimmten Regelungen werden künftig spekulativer Leerstand verhindert, Zweitwohnsitze hintangehalten, Energieraumplanung und förderbarer Wohnbau forciert sowie landwirtschaftliche Flächen für die Lebensmittelproduktion gesichert.“
Sandra Krautwaschl, Landessprecherin und Klubobfrau der steirischen Grünen, plädierte für ein besseres Zusammenspiel aller Ebenen: „Der politische Wille und die gesetzliche Umsetzung passen nicht. Wir verbrauchen viel mehr, als wir eigentlich brauchen. Man muss in ein neues Denken kommen und nicht in den alten Mustern bleiben. Die Steiermark hat es leider verabsäumt, eine zukunftsgerichtete Raumordnung zu beschließen.“
„Böden sind wichtige Kohlenstoffspeicher. Ihr Erhalt ist unbedingt erforderlich im Kampf gegen die Klimakrise. Oder anders formuliert: Bodenschutz ist Klimaschutz“, betonte DI Nora Mitterböck, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. „Auch die Themen Brachflächenrecycling und Nachverdichtung im Ortskern statt Bauen auf der grünen Wiese sind hier entscheidend.“
DI Johannes Pressl, Präsident des NÖ Gemeindebundes und Bürgermeister der Marktgemeinde Ardagger: „Wir müssen uns noch mehr ins Baulandmanagement einmischen und die Dinge stärker selbst in die Hand nehmen. Damit nicht immer mehr neue Häuser gebaut werden, müssen wir den Bestand mobilisieren – und das durchaus mit Hartnäckigkeit und Konsequenz.“
Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, abschließend: „Eines ist klar: Weitermachen wie bisher ist keine Option. Den Wohlstand einer Gesellschaft allein an einer einzigen Kennzahl wie dem Bruttoinlandsprodukt zu bemessen, ist fatal. Das heißt, wir müssen Wirtschaft neu denken. Wir müssen in die jährliche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auch die Kennzahl Naturkapital aufnehmen. Von Beton können wir nicht abbeißen. Daher müssen wir umdenken. Das sind wir unseren Kindern und Kindeskindern schuldig!“