Hagelversicherungs-Webinar: Die Grünlandbewirtschaftung in Zeiten des Klimawandels
Beim fünften Hagel-Webinar ging es um Systemrelevanz: Die (Grün-)Landwirtschaft produziert das, was uns am Leben hält, nämlich Lebensmittel, pflegt zusätzlich die Landschaft und schützt das Klima
Wien (Österreichische Hagelversicherung, 17. März 2021): „Erinnern wir uns: Fast auf den Tag genau, am 16. März 2020, begann der Lockdown in Österreich – bedingt durch die Corona-Pandemie. Schonungslos wurde uns die eigene Verletzbarkeit vor Augen gehalten. Was es bedeutet, wenn die Grenzen geschlossen sind, die Schiffe in den Häfen und die Flugzeuge am Boden bleiben. Die Konsequenz: Supermarktregale blieben in vielen europäischen Ländern leer! Gerade bei Lebensmitteln vergisst man sehr rasch den unbezahlbaren Schatz der Landwirtschaft. Eine Lehre daraus muss jedenfalls sein: wir brauchen im eigenen Land eine funktionierende Landwirtschaft mit ausreichenden Böden. Die Landwirtschaft erbringt als kritische Infrastruktur enorme Leistungen für die Allgemeinheit. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit und trägt dazu bei, dass unser geschätztes Landschaftsbild auch zukünftig erhalten bleibt, wovon viele Wirtschaftssektoren, beispielsweise der Tourismus, und die Gesellschaft profitieren“, so der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger, in seinen einleitenden Worten zum bekannt gut besuchten Hagel-Webinar, diesmal zum Thema „Die Grünlandbewirtschaftung in Zeiten des Klimawandels“. Wie eine standortgerechte Grünlandbewirtschaftung angesichts zunehmender Wetterextreme aussehen soll, vor welchen Herausforderungen die Grünlandbewirtschaftung steht, diese und weitere Fragen wurden von den führenden Expertinnen und Experten beantwortet: Dipl.-Ing. Johannes Fankhauser, Leiter der Sektion II, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung im Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT), Mag. DI Johann Költringer, Geschäftsführer der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter (VÖM), Barbara Scheitz, Geschäftsführerin der Andechser Molkerei in Oberbayern, Stefan Lindner, Obmann der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Rinderzüchter (ZAR), Isabella Übertsberger, Landwirtin im Flachgau, DI Andreas Klingler und Dr. Andreas Schaumberger, Forschungsinstitut Pflanzenbau und Kulturlandschaft, HBLFA Raumberg-Gumpenstein sowie Dipl.-Ing. Peter Frühwirth, Landwirtschaftskammer Oberösterreich.
Fankhauser: Die Bedeutung des Grünlands in der neuen GAP
Mit rund der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen liefert die österreichische Grünlandwirtschaft einen wesentlichen Teil des landwirtschaftlichen Produktionswerts und erbringt gleichzeitig vielfältige Leistungen für die Gesellschaft. Neben der Produktion von hochqualitativen Lebensmitteln leistet die Grünlandwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz, der Luftreinhaltung, den Biodiversitätszielen, dem Schutz des Bodens und des Grundwassers und zum Erhalt der Kulturlandschaft. Studien zeigen, dass dies ohne entsprechende Leistungsabgeltung nicht möglich wäre. Die Gemeinsame Agrarpolitik wird auch künftig den Erhalt der Grünlandbewirtschaftung fördern. Im Fokus stehen eine weitere Erhöhung der Umweltwirkung und des Tierwohls sowie eine Stärkung des Absatzes und der Kennzeichnung heimischer Lebensmittel.
Költringer: Entscheidende Einflussgrößen für die Milchproduktion
Österreich ist ein traditionelles, grünlandbasiertes Milchland. Das Rind kann mit seinem speziell ausgerichteten Rindermagen Gras und anderen pflanzlichen Aufwuchs in hochwertige, menschliche Lebensmittel umsetzen, was seit Jahrtausenden die Basis für die Besiedelung und die Ernährungssicherheit in Grünlandgebieten darstellt und auch die Landschaft geprägt hat. In Österreich konnte sich trotz vieler schwieriger Voraussetzungen und hartem internationalen Wettbewerb die Milchwirtschaft durch vielfältige Anpassungen als Schlüsselbranche vor allem in Berg- und benachteiligten Gebieten halten und weiterentwickeln. Sie gilt heute aufgrund ihrer vielfältigen Qualitäts- und Nachhaltigkeitsstrategie international als Vorbild.
Scheitz: Globales Denken, regionales Handeln zur Steigerung der Wertschöpfung in der Milchwirtschaft
Die Andechser Molkerei Scheitz verarbeitet die BIO-Milch von 563 verbandszertifizierten BIO-Milchlieferanten. Ca. 80 % der BIO-Landwirte erhalten seit 2015 einen Zuschlag für Weidehaltung. Die Förderung der Weidehaltung und die ökologische Landwirtschaft leisten einen wichtigen Beitrag – zur Sicherung einer hochwertigen Grundfutterqualität, zum Erhalt und Aufbau gesunder Böden, zum Schutz der Artenvielfalt, der Biodiversität und des Grundwassers. Die BIO-Landwirtschaft ist auch durch die Umsetzung der Weidehaltung Teil der Lösung für den Klimaschutz. Das von der Andechser Molkerei Scheitz initiierte und einzigartige Pilotprojekt „KlimaBauer“ fördert und honoriert zudem die regionale CO2-Bindung und damit die Resilienzverstärkung der Böden durch Humusaufbau.
Lindner: Klimaeffizienz – Perspektiven der österreichischen Rinderwirtschaft
Die österreichische Rinder- und Milchproduktion ist im Vergleich zum internationalen Durchschnitt klimafit. Wir haben den großen Vorteil, standortangepasst produzieren zu können. Verantwortlich dafür ist der hohe Grünlandanteil mit 54 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die nur durch den Wiederkäuer verwertet werden kann. Daher können Milch und auch Rindfleisch mit deutlich weniger Emissionen produziert werden als im internationalen Vergleich. Dennoch arbeiten wir intensiv daran, weitere Potentiale über die Rinderzucht für die Reduktion von Treibhausgasen auszuschöpfen. Die Erblichkeit für Methanemissionen liegt bei 10 – 40 %. Studien zeigen für die Zucht ein Reduktionspotential von CH4 binnen zehn Jahren um minus 4 – 5 % bei Fleisch, bei Milch um bis zu minus 20 % auf. Das macht uns zuversichtlich, weiterhin Forschung in diesem Bereich voranzutreiben.
Übertsberger: Aus praktischer Sicht: Potential in der zukünftigen Grünlandbewirtschaftung
Der BIO-Heumilchbetrieb umfasst 94 Milchkühe und ca. 40 Stück Kalbinnen für die eigene Nachzucht, bewirtschaftet werden 85 ha Dauergrünland. Da klimabedingt mit immer mehr Herausforderungen zu kämpfen ist (Schädlinge, Trockenheit, Hochwasser), muss dem Dauergrünland noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Daher wurde in den letzten Jahren an vielen Schrauben gedreht, um das Grünland klimafit zu machen und gleichzeitig die Grundfutterqualität und Grundfutterleistung in der Milchproduktion zu steigern: Bodenanalyse, Pflanzenbestand, Weide und Heu verstärken, bodennahe Ausbringung, Reifendruckregelung, Erntekette und Futtervorlage werden stichwortartig angeführt. Zusammengefasst kann man sagen, dass all diese Maßnahmen ökonomisch und ökologisch sinnvoll sind. Oberstes Ziel ist es, eine standortangepasste Nutzung und Steigerung der Produktivität des Grünlands in Kombination mit bodenschonenden und umweltschonenden Maßnahmen zu erwirken.
Klingler/Schaumberger: Risiken und Herausforderungen in der Grünlandbewirtschaftung in Anbetracht zukünftiger Klimabedingungen
Im klimatisch und topografisch benachteiligten Berggebiet ist das Grünland mit seiner großen Nutzungsvielfalt die wichtigste Kulturart, das über die Grundfutterversorgung hinaus wichtige ökologische Funktionen erfüllt. Forschungsergebnisse aus einem einzigartigen Klimafolgenexperiment an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein zeigen, dass künftig mit früheren Erntezeitpunkten, Veränderungen des Pflanzenbestandes und einem Ertragsrückgang zu rechnen ist. Zu den wichtigsten Anpassungsmaßnahmen zählen die Optimierung der Nutzungsintensität, die Züchtung trockenheitstoleranter Sorten und die verstärkte Nutzung von Almen. Technische Maßnahmen wie künstliche Bewässerung und Satellitenmonitoring unterstützen die Stabilisierung der Erträge und gewährleisten in extremen Fällen die Grundfutterversorgung.
Frühwirth: Pflanzenbestand und Düngemanagement für eine erfolgreiche Grünlandbewirtschaftung
Eine Reihe von Maßnahmen ist notwendig, um den Anpassungsprozess an die klimatischen Produktionsbedingungen voranzutreiben. Dazu zählen unter anderem: Artenspektrum im Wirtschaftsgrünland anpassen, Nährstoffversorgung optimieren, Bodendruck reduzieren und Schnitthäufigkeit anpassen. Die Absicherung der Grundfutterproduktion kann begleitet werden unter anderem von Dürreversicherungen, Grundfutterproduktion auf Vorsorge und Auslagerung der Grundfutterproduktion über Kooperationen. Die Veränderungen des klimatischen Produktionsumfeldes werden Auswirkungen haben auf die Entwicklung der Betriebe und die Bewirtschaftung des Grünlandes. Der Druck auf das Dauergrünland wird steigen, insbesondere in reinen Grünlandbetrieben.
Weinberger: Wer vom Boden lebt und Verantwortung kennt, der zerstört ihn nicht
Die Grünlandwirtschaft ist sowohl für den ländlichen Raum als auch für die Städte von großer Wichtigkeit. Denn eine gepflegte Landschaft erhält unser ländliches Kulturerbe und erfreut sich gemeinsam mit heimischen Top-Lebensmitteln bei Stadtbewohnern und Touristen aus aller Welt größter Beliebtheit. Für die Lebensmittelproduktion werden aber saftige Äcker und Wiesen benötigt. Es braucht ein vermehrtes Bewusstsein für unsere Lebensgrundlage Boden, kein verantwortungsloses Zerstören fruchtbarer Flächen. Es braucht aber auch einen Schutz vor den Wetterextremen, wie jährlich wiederkehrende Trockenperioden. Mit unserer umfassenden Produktpalette und – dank der Initiative von Frau Bundesministerin Elisabeth Köstinger – mit dem Private Public Partnership Modell sind wir internationaler Vorreiter. Gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Standortsicherheit. Es ist aber auch wichtig, jeden einzelnen Betrieb zu erhalten und dafür zu sorgen, dass auch nachfolgende Generationen eine Chance sehen und – wenn es um den Erhalt der Lebensgrundklage Boden geht – weit über die produzierende Landwirtschaft hinaus!“, fasst Weinberger zusammen.
Das Webinar zum Nachhören: