Hagelversicherung: Keine Solaranlagen auf Agrarland – Bodenverbrauch wird beschleunigt

Photovoltaik: JA, aber auf „toter“ Substanz! Äcker und Wiesen für die Lebensmittelproduktion schützen und das Land nicht weiter verschandeln.

Wien (Österreichische Hagelversicherung, 30. Dezember 2021): Die EU möchte mit dem europäischen „Green Deal“ eine globale Vorreiterrolle in der Erreichung der Klimaziele einnehmen: Klimaneutralität bis 2050. Österreich verfolgt ambitioniertere Ziele: Stromversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bis 2030 und Klimaneutralität bis 2040. Das ist gut und notwendig! Die Frage ist aber „Wie?“. Eine zentrale Anforderung ist jedenfalls die Versorgung mit sauberer, erschwinglicher und sicherer Energie. Photovoltaik (PV) leistet dabei neben anderen erneuerbaren Energieformen einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Energiesystems. Also: Photovoltaik „Ja“, aber wohin? Die Bundesregierung hat sich doch in enger Zusammenarbeit mit den Bundesländern auch zum Ziel gesetzt, die Flächeninanspruchnahme in Österreich deutlich zu reduzieren: 2,5 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2030 (Anmerkung: aktuell liegen wir bei 11,5 Hektar pro Tag!). Unter die Flächeninanspruchnahme fallen jedoch nicht nur zubetonierte Flächen für weitere Straßen und Gebäude, sondern auch für Energiezwecke gewidmete Flächen. Diese Agrarflächen sind für einen Normertrag nicht mehr geeignet. Daher: „Ein klares Ja für Photovoltaik, aber nicht auf ‚lebenden‘ Äckern und Wiesen, sondern auf ‚toten‘ Flächen. Dazu zählen Dachflächen von Firmen, Supermärkten, Wohnblöcken, Bauernhöfen und Gewerbeparks, Überdachungen von Parkplätzen sowie entlang von Bahntrassen und Autobahnen. Wir müssen nämlich die Lebensmittelproduktion sichern und die Klimakrise ernsthaft bekämpfen. Die Energiewende und der Ausbau der Photovoltaik dürfen daher nicht weiter zulasten der Agrarflächen gehen, denn diese sind durch die generelle Verbauung ohnedies stark rückläufig. Die Lebensgrundlage Boden wird täglich weniger. Und die Nachfrage nach Lebensmitteln wird nicht sinken, im Gegenteil! Leere Supermarktregale wie in England dürfen bei uns nicht zum Standard werden, Agrarflächen – und dazu zähle ich auch gerodete Waldflächen – dürfen aus Profitgier nicht zu einer Rendite- und Anlagequelle werden!“, so der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger, in einem Appell an die Vernunft.

MARKET-Umfrage: Deutliches Votum für PV-Anlagen auf Dächern
Die jüngst im Auftrag der Österreichischen Hagelversicherung durchgeführte MARKET-Umfrage zur Photovoltaik bringt folgendes Ergebnis: 94 Prozent der Befragten befürworten PV-Anlagen auf den genannten „toten Flächen“. Die wesentlichen Vorteile bei einer PV-Errichtung auf „toten Flächen“ sehen sie in der Erhaltung der landwirtschaftlichen Nutzflächen zur Lebensmittelproduktion sowie in der ausbleibenden Verbauung landwirtschaftlicher Böden bzw. keiner Zerstörung des Ökosystems und weiteren Verschandelung Österreichs: Das sagen 90 Prozent der befragten Österreicherinnen und Österreicher! „70 Prozent der Befragten lehnen eindeutig und klar PV-Anlagen auf Agrarflächen ab. Ein deutliches Ergebnis gegen PV-Anlagen auf Agrarflächen“, fasst Prof. Dr. Werner Beutelmeyer vom MARKET-Institut die Befragungsergebnisse zusammen.

Moosbrugger: Vorrang für Dachflächen-Anlagen statt ungeregeltem PV-Wildwuchs
„Als Hauptbetroffene der Klimaverschlechterung mit Dürren, Stürmen und anderen Wetterextremen haben wird größtes Interesse, den Klimasünder Nummer 1, die fossilen Energieträger, durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Neben unserem wichtigen Beitrag im Biomasse-Bereich stehen wir auch der Photovoltaik positiv gegenüber, allerdings muss das Inlandspotenzial mit einer klaren Prioritätensetzung und kontrolliert erschlossen werden. Wie wir auch in unserem LKÖ-Photovoltaik-Positionspapier hervorgehoben haben, gilt dabei ganz klar das Motto: ‚Dächer zuerst‘. Der Zugang solcher gebäude- und betriebsintegrierter Vorhaben zu Ausschreibungen und Netzinfrastruktur muss dringend erleichtert werden“, so der LKÖ-Präsident Josef Moosbrugger, der in solchen Projekten eine Win-Win-Situation für Umwelt und bäuerliche Betriebe ortet. „Es ärgert mich extrem, wenn auf wertvollsten Agrarflächen PV-Anlagen wie Pilze aus dem Boden sprießen, unsere Betriebe für Dachflächenanlagen hingegen keine Genehmigungen erhalten. Die Rahmenbedingungen müssen daher raschest geändert werden! In zweiter Linie sollten Restflächen entlang von Autobahnen, Lärmschutzwänden oder Bahnlinien verwendet werden, die in der Lebensmittel-Produktion keine Bedeutung haben. Corona hat uns allen vor Augen geführt, wie wichtig die regionale Ernährungssicherung ist. Daher müssen wir den besten PV-Projekten den Vorrang geben, und nicht den billigsten. Wir müssen dringend für ganz Österreich eine Flächenpotenzial-Erhebung vornehmen, bei der landwirtschaftliche Vorrangflächen klar definiert sind. Es gilt, unsere wertvollen Agrarböden zu schützen. Auch innovative Mehrfachnutzungskonzepte, bei denen die landwirtschaftliche Produktion weiter im Vordergrund steht, können hier als Agrar-PV-Systeme interessante Lösungsansätze bieten. Der derzeit herrschende ungeregelte PV-Wildwuchs in Richtung bester landwirtschaftlicher Böden ist hingegen mit Sicherheit nicht nachhaltig“, betont Moosbrugger.

Liebert: Ist Agrar-PV eine Option?
Mit Agrar-PV lassen sich vordergründig gleichzeitig Strom und Nahrungsmittel auf einer Fläche erzeugen. Die auf Gestellen montierten Solarmodule beschatten die landwirtschaftlichen Kulturen und produzieren Strom. Agrar-PV ist aber ein relativ junges Thema im Bereich von Forschung und Entwicklung, weshalb es noch viele offene Fragen gibt. „Insbesondere fehlen umfassende Untersuchungen zur Technikfolgenabschätzung. So müsste beispielsweise geklärt werden, welche Kostenfaktoren, Energieaufwände und Treibhausgasbilanz für die Aufständerung und den Aufbau von Bewässerungsinfrastrukturen bei Agrar-PV zu berücksichtigen wären. Welche Nutzungspotenziale und welche ungewollten Folgen bestehen? Ausgerechnet Agrarflächen für PV um- oder mitnutzen zu wollen, ist gegenwärtig jedenfalls nicht nachvollziehbar. Wenn alle sehr gut bis gut geeigneten Dachflächen in Österreich mit Aufbau von PV-Anlagen genutzt würden, wäre das Ziel des 2021 verabschiedeten Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes von 11 TWh/a PV-Strom bis 2030 wohl erreichbar. Nochmals mindestens dasselbe PV-Potenzial bestünde, wenn beispielsweise die 200 Quadratkilometer an gewerblichen Brachflächen für PV genutzt werden könnten. Die in den letzten zehn Jahren zusätzlich versiegelten Flächen in Österreich hätten ein Potenzial von mehreren Dutzend TWh/a gehabt. Daher sollte man mit PV-Anlagen dorthin gehen, wo nichts oder nichts mehr wächst“, sagt Univ.Prof. Dipl.Phys. Dr. Wolfgang Liebert vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien, der die Agrar-PV durchaus kritisch sieht.

Die Rechnung darf nicht zulasten der künftigen Generationen gehen
„Die Erderwärmung ist für jeden von uns durch die Zunahme von Wetterextremen spürbar. Nur wenn wir es schaffen, alle erneuerbaren Energien auch ressourcenschonend und ohne weitere Verbauung der Landschaft zu erzeugen, können wir wirkungsvoll gegensteuern. Die Dachflächen-PV hat bei dem vorhandenen Potenzial eindeutig Priorität. Denn sind die Böden einmal fort, bleibt uns nur mehr der Import. Und damit werden wir sehr verletzbar und deutlich weniger nachhaltig. Der notwendige Umbau des Energiesystems auf erneuerbare Energieträger ist notwendig, aber bitte mit Intelligenz, Vernunft und aus Verantwortung gegenüber unseren zukünftigen Generationen. Daher gilt das Motto: ‚Dächer nützen, hochwertige Agrarflächen schützen‘“, so der abschließende gemeinsame Tenor von Moosbrugger und Weinberger.

Rückfragehinweis:

  • Dr. Mario Winkler, Pressesprecher Österreichische Hagelversicherung, +43 664 827 20 67, [email protected]
  • Mag. Claudia Jung-Leithner, Pressesprecherin Landwirtschaftskammer Österreich, +43 676 83441 8770, [email protected]